Ukraine-Krieg: Riskiert Russland einen Staatsbankrott?
Die Wirtschaft leidet, der Rubel stürzt ab, Zinszahlungen auf Staatsanleihen zeitweise unsicher
Die westlichen Sanktionen gegen Russland scheinen zu greifen. Die Supermarktregale sind leer, Fabriken produzieren kaum noch und die Inflation ist in kurzer Zeit auf 20 Prozent geschnellt. Außerdem ist unsicher, wie lange das Land fällige Schulden in US-Dollar begleichen kann.
Seit der Westen auf Präsident Wladimir Putins Krieg in der Ukraine mit Sanktionen reagiert, geht es mit der russischen Wirtschaft bergab. Die Währung des Landes und die Aktienkurse russischer Konzerne haben massiv an Wert verloren. Einige der Papiere wurden mittlerweile vom Handel an Börsen in anderen Ländern ausgesetzt.
Der Konsum der Menschen hat deutlich nachgelassen. Vielerorts können Fabriken nicht mehr produzieren und Supermarktregale sind leer. Nach Aussetzung des Handels an der Moskauer Börse über drei Wochen sind seit Montag nur bestimmte Transaktionen erlaubt.
Viele ausländische Unternehmen stellen Aktivitäten in Russland ein
Außerdem ziehen sich Dutzende internationale Konzerne aus Russland zurück. Betroffen sind fast alle Bereiche der Wirtschaft. Neben deutschen Unternehmen wie Volkswagen, Puma, Siemens, BASF, Mercedes, BMW, SAP und Adidas haben auch Boeing, BP, McDonald’s, Shell, H&M sowie Nike sowohl ihre Produktion als auch Neuinvestitionen oder Lieferungen mindestens vorläufig gestoppt oder das Land verlassen.
Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hängen allein an den 3.650 Unternehmen aus der Bundesrepublik, die bis zum Angriff auf die Ukraine in Russland aktiv waren, 280.000 Arbeitsplätze. McDonald’s hat bislang in Russland 850 Filialen mit rund 60.000 Beschäftigten betrieben.
Staatsanwälte drohen internationalen Firmen mit Verhaftungen und Verstaatlichungen
Einem Bericht des „Wall Street Journal“ (WSJ) zufolge drohen russische Behörden den ausländischen Unternehmen mit Verhaftungen und Beschlagnahmung ihres Vermögens, falls sie sich aus Russland zurückziehen. Demnach hat die russische Staatsanwaltschaft bereits Mitte März eine „strenge Kontrolle“ aller Unternehmen angekündigt, die ihre Geschäfte in Russland einstellen wollen.
Putin hatte sich demnach für die Ernennung „externer“ Direktoren an der Spitze dieser Unternehmen ausgesprochen, „um sie an diejenigen zu übergeben, die sie betreiben wollen“. Begriffe wie Verstaatlichung oder Enteignung benutzte er bislang nicht. Aber die russische Staatsanwaltschaft kündigte dem WSJ zufolge eine „strenge Kontrolle“ aller Unternehmen an, die ihre Geschäfte in Russland einstellen wollten.
Rubel hat drastisch an Wert verloren – Inflation ist auf 20 Prozent angestiegen
Dabei wären Enteignungen enorm schädigend für das Investitionsklima und würden zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Ohnehin leidet die russische Wirtschaft bereits unter den Sanktionen der westlichen Länder. Der Kurs der russischen Währung hat seit Kriegsbeginn drastisch nachgegeben: Vor einem Monat war ein Euro noch 85 Rubel wert. Nun bewegt er sich zwischen 115 und 142 Rubel.
Das Land hat die Zinsen erhöht und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Es steht vor einem zweistelligen Konjunktureinbruch und einer 20-prozentigen Inflation.
Devisenreserven im Ausland eingefroren
Bislang ist Russlands Staatskasse zwar vor allem aufgrund der hohen Öl- und Gaspreise gut gefüllt. Doch im Rahmen der Sanktionen wurde nach Angaben des Finanzministeriums knapp die Hälfte der Zentralbankreserven von über 640 Milliarden US-Dollar auf Konten in den USA, der EU und anderen Ländern eingefroren.
Auch auf den internationalen Finanzmärkten kann das Land kaum mehr agieren: Der Finanznachrichtendienst Bloomberg berichtet, dass Russland 49 Milliarden US-Dollar an Staatsanleihen in US-Dollar und Euro offen hat. In der vergangenen Woche war zunächst unklar, ob die Regierung in Moskau ihren internationalen Schuldenverpflichtungen über mehr als 117 Millionen US-Dollar nachkommen und eine Staatspleite abwenden konnte.
Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge erhielten aber einige Besitzer von Anteilen russischer Dollar-Anleihen die fälligen Zinszahlungen am Donnerstag. Zuvor hatte die russische Regierung mitgeteilt, dass sie alle Schulden bedienen werde – aber in Rubel, solange die wegen des Krieges verhängten Sanktionen keine Zahlungen in US-Dollar zuließen.
„Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario“
„Der Coupon wurde entgegen meinen Erwartungen gezahlt, und in Dollar“, sagte ein Marktteilnehmer dem Reuters-Bericht zufolge. Andere Anspruchsberechtigte erklärten demnach, sie hätten bislang noch kein Geld erhalten, seien aber optimistisch, dass das noch geschehen werde.
Eine Nichtzahlung würde ebenso wie die Zahlung in Rubel eine Welle von Zahlungsausfällen für fast 150 Milliarden US-Dollar russischer Fremdwährungsschulden in Gang setzen. „Wir sehen einen Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario“, schrieb die US-Investmentbank Morgan Stanley bereits Mitte März.
Unterdessen senkte die US-Ratingagentur S&P ihre Bewertung für die Kreditwürdigkeit von Russland in den Ramsch-Bereich. Die Note für langfristige Fremdwährungsanleihen liegt nunmehr bei „CC“ nach „CCC-“. Diese Bewertung gilt bereits als Schrottniveau.
Herr Dr. Kater, die Berichte mehren sich, dass Russland kurz vor der Staatspleite steht. Aber mit dem Krieg in der Ukraine sind die Preise für russisches Gas und Öl auf ein Spitzenniveau gestiegen. Zwischen 600 und 800 Millionen Euro spülen sie täglich in die Staatskasse. Wie realistisch ist also ein Bankrott Russlands?
Ein Default, also eine Staatspleite, Russlands ist ein Sonderfall. Typischerweise ist ein Default Folge von einer längeren Periode einer ökonomischen Krise, abschmelzenden Währungsreserven, einer Reihe von wirtschaftspolitischen Fehlern. Der Zahlungsausfall Russlands käme in diesem Sinne „aus dem heiteren Himmel“, weil er durch die Politik und nicht durch die Wirtschaft ausgelöst ist.
Vor dem Kriegsbeginn war die russische Wirtschaftspolitik viele Jahre stark auf Stabilität ausgerichtet. Russland hatte über 600 Milliarden US-Dollar an Währungsreserven, eine Staatsverschuldung von unter 20 Prozent des BIP und einen Leistungsbilanzüberschuss – kein klassischer Default-Kandidat.
Die Lage hat sich nach der Invasion Russlands in die Ukraine schlagartig geändert. Durch die westlichen Sanktionen sind über 50 Prozent der russischen Währungsreserven blockiert und der Einbruch des Handels Richtung Westen führt dazu, dass die regulären Deviseneinnahmen Russlands ebenfalls abschmelzen. Die Ratings Russlands sind innerhalb weniger Tage an den Rand des Zahlungsausfalls gesenkt worden.
Nach unserer Einschätzung dürfte Russland über ausreichend US-Dollar-Liquidität innerhalb des Landes verfügen, um die nächsten Fälligkeiten zu bezahlen. Doch hier kommt erneut das Sanktionsregime ins Spiel. Zum einen kann es passieren, dass die Zahlung durch US-Finanzinstitute aufgrund der Sanktionen gegen das russische Finanzministerium gar nicht bearbeitet wird, selbst wenn Russland zahlt. Zum anderen mehren sich die Aussagen russischer Politiker, der Westen habe Russland durch die Strafmaßnahmen zu einem Default gezwungen. Den Willen Russlands, die Zahlungen auch tatsächlich zu tätigen, wenn das Land ohnehin von westlichen Kapitalmärkten abgeschnitten ist, kann man also durchaus bezweifeln.
Wie könnte das Land die Pleite noch abwenden?
Die erste Zinszahlung nach Kriegsbeginn war am 16. März fällig. Russland hat diese nach eigenen Angaben in US-Dollar getätigt. Ob die Zahlungen bei allen Gläubigern vollständig angekommen sind, bleibt unklar. Zumindest teilweise scheinen die Zahlungen eingegangen zu sein. Falls die Gläubiger die Zahlung nicht erhalten haben, hat Russland formell noch 30 Tage Zeit, um die Zahlung zu tätigen. Es könnte sich beispielsweise beim US-Finanzministerium um eine rechtliche Klarstellung der Sanktionsauslegungen bemühen. Das setzt aber Zahlungswilligkeit voraus. Es ist nicht auszuschließen, dass Russland die politische Entscheidung trifft, den Schuldendienst so lange einzustellen, wie das westliche Sanktionsregime gilt.
Welche Auswirkungen hätte die russische Zahlungsunfähigkeit auf andere Länder – vor allem auf Deutschland?
Die volkswirtschaftlichen Effekte eines Defaults, wie Währungsverfall oder die Ausgeschlossenheit aus den globalen Kapitalmärkten sind in Russland bereits zu sehen, ohne dass ein Default formell festgestellt wurde. Die russischen Staatsanleihen notieren auf Default-Niveaus und werden aus den wichtigen globalen Indizes nach und nach ausgeschlossen. Viele westliche Unternehmen, auch deutsche, haben bereits ihren Rückzug aus Russland angekündigt und werden aufgrund von Kapitalverkehrskontrollen ebenfalls Verluste hinnehmen müssen.
Die Gesamtauslandsverschuldung Russlands (in allen Währungen, inklusive Verpflichtungen im Rahmen von Direktinvestitionen) wurde von der russischen Zentralbank Ende Dezember mit 478 Milliarden US-Dollar angegeben. Davon entfielen circa 100 Milliarden auf den Staat und die Zentralbank. Die Beziehungen der westlichen Finanzinstitute zu Russland erscheinen insgesamt nicht besonders hoch und sind seit der Krim-Krise 2014 deutlich reduziert worden.
Es sollte also keine systemischen Effekte in den Bankensystemen der Industrienationen auslösen. Einzelne Finanzinstitute haben über eigene Tochterbanken in Russland hohes Exposure. Das deutsche Bankensystem hat im EU-Vergleich recht geringe Forderungen gegenüber Russland von deutlich unter 0,5 Prozent der Gesamtaktiva, der Anteil der Forderungen gegenüber dem Staat direkt ist noch geringer.
(Stand: 21.03.2022)
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