MIT KONSUM DAS LEBENSGEFÜHL AUSDRÜCKEN
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Die Kaufgewohnheiten und Lebensstile der Menschen auf der ganzen Welt verändern sich. Das stellt die Konsum- und Luxusgüterbranche vor Herausforderungen. Sie muss mit neuen Services, digitalen Konzepten und künstlicher Intelligenz neue junge Käuferschichten für sich und ihre Marken begeistern, ohne angestammte Kundengruppen zu verlieren. fondsmagazin zeigt, welche Chancen dieser Wandel für die Branche und für Anlegerinnen und Anleger bietet.
Samstagmittag in Berlin-Friedrichshain. Im Laden des Dessous-Labels Savage X Fenty in Szene-Lage nahe dem Spreeufer herrscht reges Treiben. Das Label von Pop-Ikone Rihanna gilt als Kult. Regelmäßig trägt die Sängerin Teile der selbst entworfenen Kollektion in Videos oder bei Auftritten. In der Berliner Filiale tritt eine junge Frau komplett bekleidet auf eine Markierung am Boden. Tiefensensoren scannen in Sekundenschnelle ihre exakte Körperform und erstellen aus den Daten einen digitalen Avatar. Eine KI, die vom Computerriesen Intel entwickelt worden ist, steuert ihn und empfiehlt der Kundin daraufhin passgenaue Produkte. Bilder, wie die Tops oder Kleider an ihrem digitalen Zwilling aussehen, schickt ihr die Anwendung sofort auf ihr Smartphone. So kann sie direkt im Onlineshop bestellen.
Rund 1.000 Kilometer südwestlich der deutschen Hauptstadt, im Zentrum von Paris, tüfteln Expertinnen und Experten des Kosmetikkonzerns Sephora an neuen Ideen, um das digitale Einkaufserlebnis zu verbessern. In der Branche gilt die Beauty- und Pflegemarke mit ihren E-Commerce-Aktivitäten als Trendsetter. Ob Multichannel-Treueprogramm, nutzergenerierte Online-Inhalte, Social Selling oder andere hochmoderne E-Commerce-Tools – die Marke ist der Konkurrenz stets einen Schritt voraus. Die Vision für kommende Jahre: Kundinnen und Kunden sollen Sephora- Produkte jederzeit, überall und ohne Einschränkungen kaufen können. Jüngster Coup auf dem Weg dorthin: eine Partnerschaft mit dem Verlag Hearst Publications. Leserinnen blättern in der neuen Online- oder Printausgabe des Modemagazins „Cosmopolitan“ und können direkt aus dem redaktionellen Inhalt über einen Link oder QR-Code Sephora-Kosmetik online bestellen.
Ein paar Straßen vom Sephora-Hauptquartier entfernt, in der Nähe der berühmten Pont de Neuilly: eine McDonald’s-Filiale. Die weltgrößte Fast-Food-Kette arbeitet mit Hochdruck an einer einheitlichen digitalen Struktur, die Restaurant- und Kundenplattformen über alle Kanäle hinweg verbindet. Das Ziel des Burgerkonzerns: Mit der Strategie „Everywhere Commerce“ können Kundinnen und Kunden jederzeit, überall und von jedem mobilen Gerät aus mit einer einzigen App bestellen.
KI-generierte Avatare, barrierefreie Einkaufserlebnisse, eine weltweit einheitliche digitale Restaurantwelt – drei unterschiedliche Konzepte, die zeigen: Handel und Konsumunternehmen werden mit ihren Marken und Marketingaktivitäten immer innovativer. Und digitaler. Sie stellen sich der Herausforderung und sind auf allen Vertriebskanälen online und offline präsent, um neue junge Kunden zu erreichen, alte Zielgruppen zu halten – und idealerweise alle gleichermaßen zu begeistern.
KONSUM IM TRANSFORMATIONSPROZESS
Christian Wulff sieht die Konsumgüterindustrie inmitten eines technologischen und kulturellen Transformationsprozesses, in dem sie sich neu erfinden müsse. „Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt, während die Generation Z ins Berufsleben eintritt. Damit setzen sich auch beim Konsum die Präferenzen der Digital Natives durch“, erklärt der Consumer Markets Leader Deutschland bei der Unternehmensberatung PwC.
Eine aktuelle Studie seines Hauses zur Zukunft des Handels sieht so durch weltweiten Generationenwechsel und Migration eine Vielfalt an Lebensstilen und individuellen Konsumpräferenzen entstehen – wobei der Wunsch jüngerer Käuferschichten, etwa nach neuen virtuellen Einkaufserlebnissen und Services, auch auf ältere Zielgruppen ausstrahlt.
„Die Preissensibilität der Verbraucherinnen und Verbraucher bleibt hoch“, prognostiziert PwC-Experte Wulff. Trotz des ausgeprägten Preisbewusstseins steigt aber die Ausgabenbereitschaft für Produkte und Marken, die den individuellen Lebensstil der Konsumentinnen und Konsumenten unterstützen. Das Spektrum reicht von Lifestyle-Beautymarken über nachhaltige Modelabels bis hin zu Luxusmode und hochwertiger Unterhaltungselektronik. Viele Menschen würden ihre Konsumentscheidungen zunehmend nutzen, um ihre Persönlichkeit auszudrücken und sich von anderen abzugrenzen. „Mit Blick auf die Zukunft ist zu bedenken, dass die Zahl der zur Gen Z zählenden Menschen, also aller zwischen 1995 und 2015 geborenen, bis 2030 auf 2,6 Milliarden steigen könnte“, ergänzt Deka-Fondsmanager Alexander Eickhoff. „Das entspricht der heutigen Gesamtbevölkerung von China, den USA, Indonesien, Pakistan und Nigeria zusammen. Und das Konsumverhalten dieser Generation unterscheidet sich deutlich von dem der Babyboomer, der Generation X oder der Millennials.“ Mit dem von ihm gemanagten Deka-MegaTrends beschäftigt sich Eickhoff mit den Folgen des veränderten Verhaltens einzelner Käufergruppen. Mehr als ein Fünftel des Portfolios hat er in den Bereich Konsum investiert.
NEUE WACHSTUMSMÄRKTE ENTSTEHEN
Nicht nur im Handel und im klassischen Konsum, sondern auch in angrenzenden Lifestyle-Bereichen wie Wellness, Gesundheit und digitalen Technologien entstehen durch die demografische Entwicklung neue Wachstumsmärkte. Ein Beispiel: Das Forschungsunternehmen Fortune Business Insights geht davon aus, dass der globale Markt für virtuelle Umkleidekabinen, wie sie in den Sav age-X-Fenty-Stores zum Einsatz kommen, von rund sechs Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr auf 25,11 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 wachsen wird. Davon profitieren neben dem US-Konzern Intel auch Softwarespezialisten wie das KI-Start-up 3DLook.
Es müssen aber nicht immer hochkomplexe technische Anwendungen sein, oft geht es auch einfacher und praktischer. Lifestyle – das bedeutet für immer mehr Menschen auch Sport, Bewegung und Wellness. In den USA beispielsweise stieg die Zahl der Fitnessstudiomitglieder nach Angaben der Health & Fitness Association im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von 72,9 Millionen. Damit ist fast jeder vierte Amerikaner im Alter von über sechs Jahren in einem Fitnessstudio angemeldet. Börsennotierte US-Ketten wie The Gym Group, Basic-Fit oder Planet Fitness bauen daher ihr Filialnetz weiter aus.
Ein weiteres Beispiel: Garmin. Der Spezialist für Wearables und GPS-Technologien ist im dritten Quartal 2024 zweistellig gewachsen – vor allem in den Segmenten Fitness, Outdoor und Automotive. Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom aus dem vergangenen Jahr nutzt bereits rund ein Drittel der Deutschen privat oder beruflich eine Smartwatch. Mehr als 70 Prozent interessieren sich für weitere „smarte“ Kleidungsstücke wie Einlegesohlen für Schuhe, die das Gangbild kontrollieren, oder intelligente Accessoires wie Ringe, die den Schlaf aufzeichnen oder den Blutdruck messen.
NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL BOOMEN
Auch die Ernährungsgewohnheiten der Menschen ändern sich. Nahrungsergänzungsmittel boomen. Allein die Apotheken in Deutschland setzten laut dem Informationsdienst IQVIA im Jahr 2023 rund 3,11 Milliarden Euro mit Vitamintabletten, Zinkkapseln oder Kräuterdragees um – ein Plus von fast fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Chemiekonzern Bayer etwa erlöste im Geschäftsjahr 2023 damit rund 1,4 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr hatte der Leverkusener Konzern die Sparte ausgebaut und sich am Nahrungsergänzungsmittelhersteller Natsana beteiligt, zu dem Marken wie Feel Natural, Nature Love und Natural Elements gehören. Noch in diesem Jahr will Bayer die restlichen Anteile übernehmen.
Bei E-Commerce-Pionieren wie Amazon oder digitalen Diensten wie dem Streaming-Anbieter Netflix stehen die Zeichen ebenfalls auf Expansion. „Das sind zwei dominante Unternehmen, die von der Digitalisierung im Handel profitieren“, sagt Jasmin Wolfram, die bei der Deka den neu aufgelegten Deka-Lifestyle managt. Trotz des starken Wachstums in den vergangenen Jahren sieht sie bei beiden Unternehmen mit ihren jeweiligen Geschäftsmodellen noch Potenzial. „Die Märkte in vielen aufstrebenden Regionen sind noch lange nicht durchdrungen“, ergänzt Wolfram. „Dort gibt es zwar auch Wettbewerber. Aber beide können hier ihre starke Marktposition, ihr Know-how und die hohe Nachfrage nach ihren Diensten beziehungsweise Inhalten in die Waagschale werfen.“
Jan Losen, Manager des Deka-DividendenStrategie Europa, geht das Thema Konsum dagegen weniger technisch an. Er setzt auf Hersteller von Konsumgütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und Haushaltswaren, aber auch auf Kantinenbetreiber zum Beispiel. „Mit Blick auf die Dividendensicherheit stehen die Solidität des Geschäftsmodells, die Marktstellung und die Finanzstärke im Vordergrund“, erklärt Losen. „Konsumnahe Unternehmen aus den genannten Branchen erfüllen diese Qualitätskriterien häufig.“
Der Blick in die Zukunft wird für Anlegerinnen und Anleger dabei aber nicht einfacher. Laut der PwC-Studie werden die Erwartungen der Käufer an digitale Services und virtuelles Marketing in den kommenden Jahren weiter steigen. „Für Hersteller und Vertriebskanäle wird es darauf ankommen, qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Produkte mit neuen digitalen, Convenience-orientierten Serviceangeboten zu verknüpfen, um am Markt zu bestehen“, prognostizieren die Fachleute unisono. „Wem das gelingt, der dürfte große Wachstumspotenziale generieren.“
OHNE KREATIVITÄT GEHT ES NICHT
All das zeigt: Der Wandel in Handel und Konsum bietet viele gute Chancen – nicht nur für Unternehmen, die diese Trends erfolgreich bedienen, sondern auch für Anlegerinnen und Anleger. Entscheidend für den Anlageerfolg ist allerdings die Auswahl der richtigen Unternehmen. „Die Trends im Konsumbereich sind sehr volatil. Die Loyalität vor allem junger Konsumentinnen und Konsumenten zu bestimmten Marken und Produkten ist weniger ausgeprägt als früher“, beobachtet Fondsmanagerin Wolfram. Das mache es schwierig, künftige Gewinner und Verlierer zu identifizieren. Vor allem das Kaufverhalten jüngerer Zielgruppen sei weniger berechenbar geworden. „Als Konsumunternehmen kann man nicht einfach mit dem weitermachen, was in der Vergangenheit erfolgreich war, und davon ausgehen, dass man damit Erfolg hat. Heute eine starke Love Brand oder überhaupt eine etablierte Marke zu werden und diese Position zu verteidigen, geht nur mit Kreativität.“
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