Aktuelle Einschätzung zur EZB-Strategierevision von Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank

Überraschend schneller Abschluss der neuen EZB-Strategie

Frankfurt, 08. Juli 2021

Nach einem langen Aufgalopp mit akademischer Diskussion und Bürgerbeteiligung ist die Strategiedebatte in der Europäischen Zentralbank (EZB) jetzt überraschend schnell zu einem Ende gekommen. Der Grund für diesen hastigen Abschluss liegt wohl darin, dass die EZB bei der anstehenden Normalisierung der Geldpolitik nach der akuten Coronakrise an Verlässlichkeit gewinnen möchte, um ungewollte Marktreaktionen (etwa starke Kursschwankungen bei Anleihen) zu verhindern. Bislang war insbesondere der mittelfristige geldpolitische Ausblick dadurch vernebelt gewesen, dass es grundsätzliche gegenläufige Meinungen über die geldpolitischen Ziele und den Einsatz von Instrumenten gab. Die jetzige Neuformulierung der Zieldefinition der Notenbank stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen unterschiedlichen Ansichten zur Geldpolitik dar. Er schreibt eher fest, wie die EZB von den Finanzmärkten in den vergangenen Monaten bereits wahrgenommen worden ist. Daher sind auch die Marktauswirkungen der Strategierevision sehr begrenzt ausgefallen. Gleichzeitig belässt es große diskretionäre Freiräume, so dass es eine große kommunikative Herausforderung, den Märkten ausreichend Führung zu geben.

Die Neuformulierung des Inflationsziels der EZB ist das wichtigste Element der Strategierevision. Bislang eher vage als Inflationsnorm („unter aber nahe bei zwei Prozent“) wird es jetzt zu einem echten Inflationsziel von 2 Prozent. Wie bisher auch, ist das Konzept mittelfristig ausgerichtet: Nicht jede Inflationsschwankung führt zu geldpolitischen Reaktionen. Nur Abweichungen, die über mehrere Quartale vorherrschen und deren Struktur längerfristig angelegt sind, werden durch geldpolitischen Instrumenteneinsatz beantwortet.

Neu ist die Symmetrie, das bedeutet, dass Abweichungen nach oben und nach unten gleich dringlich behandelt werden sollen. Durch die Hintertür kommt jedoch eine gewisse Asymmetrie herein: bei Unterschreitungen kann zur Wiederherstellung eines „Inflationspuffers“ hin zur Nulllinie sogar ein Überschreiten der 2-Prozent-Marke akzeptiert werden. An dieser Stelle ist die Strategie windelweich, denn bei der Entscheidung, ob und welche Überschreitungen akzeptiert werden, gibt sich die EZB maximale Flexibilität. Dies reflektiert die vorherrschenden Meinungsunterschiede im Zentralbankrat, mindert allerdings die Einschätzbarkeit der Geldpolitik.

Die Weiterentwicklung der geldpolitischen Strategie ist ein klares Statement der EZB, sich in Niedriginflationszeiten ganz energisch gegen mögliche deflationäre Tendenzen zu stemmen. Damit sehen sich die Finanzmärkte in ihrer bisherigen Einschätzung der Geldpolitik bestätigt, insbesondere in der Vorausschau auf eine lange Fortsetzung des gegenwärtigen Umfeldes niedrigster Zinsen und hoher Liquiditätsversorgung. Die gegenwärtige Welle an Preiserhöhungen ist nach diesem Konzept keine Abweichung, die zu einer geldpolitischen Antwort führen muss, so lange sie weiterhin als vorübergehend eingeschätzt werden kann.

Die Neuformulierung der geldpolitischen Strategie ist kein großer Wurf. Die EZB passt ihre Strategie dem weltweit veränderten Umfeld von notorisch niedrigen Inflationsraten an und gewinnt etwas Handlungsfreiraum für die Politik, die sie in den vergangenen Jahren faktisch bereits umgesetzt hat. Es schreibt einen beinahe unbegrenzten Instrumenteneinsatz am „absoluten Nullpunkt“ der Gelpolitik fest, wenn Zinssätze und Inflationsrate gegen Null streben. Es ist auf der anderen Seite kein Freibrief für hohe Inflationsraten; die Verpflichtung auf die Geldwertstabilität wird nicht gemildert, und eine mögliche leichte Erhöhung der Verankerung von Inflationserwartungen durch die neue Symmetrieeigenschaft des Inflationsziels beeinträchtigt nicht das gesetzliche Mandat der EZB. Ebenso wenig wird aber der extreme Einsatz expansiver geldpolitischer Instrumente infrage gestellt. Die Debatte um die Nebeneffekte der Staatsfinanzierung durch die Geldpolitik durch die neue Strategie nicht entschärft, sondern eher noch verschärft.

Wirklich neu sind nur die Einbeziehung von Nachhaltigkeit in die Geldpolitik und eine Informations-Offensive, mit der die oft abstrakten Themen der Geldpolitik in der Öffentlichkeit besser und einfacher erklärt werden sollen. So sehr die Einbeziehung der Nachhaltigkeitsaspekte in die Geldpolitik zu begrüßen ist, bleibt die Strategieformulierung hier ebenfalls vage, denn sie äußert sich nicht dazu, wie sich die Geldpolitik im Fall von Zielkonflikten verhalten soll. Eine uneingeschränkt gute Sache ist die Ankündigung, Geldpolitik in der Öffentlichkeit besser zu erklären. Es bleibt nur zu hoffen, dass dies dort auch auf genügend Interesse stößt.

 

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