ABENTEUER ENERGIEAUSWEIS

Wenn man sich Gedanken darüber macht, ob und wo man seinen Energieverbrauch in seinem Haus oder seiner Wohnung reduzieren kann, sollte man zunächst verstehen, wie der eigene Verbrauch überhaupt einzuschätzen ist. In meiner ersten Kolumne im April habe ich Euch dazu eine kleine Aufgabe gestellt. Ihr solltet zwei Fragen beantworten. Die Fragen waren damals folgende:

  1. Wenn ich Euch sage ein Auto braucht 20 Liter Sprit, ist das dann ein eher hoher oder ein eher niedriger Verbrauch?
  2. Wenn ich Euch sage ein Haus verbraucht 20 Liter Heizöl, ist das dann ein eher hoher oder ein eher niedriger Verbrauch?

Ich schätze mal, dass die meisten von Euch die erste Frage mehr oder weniger intuitiv haben beantworten können. Bei der zweiten Frage dagegen, waren die meisten von Euch wahrscheinlich eher ahnungslos oder sogar verwirrt. 20 Liter Heizöl, das ist doch unrealistisch wenig. Und wer so gedacht hat, hat völlig recht. 20 Liter sind wirklich unrealistisch. Aber 20 Liter Sprit für ein Auto ist genau so unrealistisch. Aber Ihr habt die 20 Liter Sprit sofort und intuitiv als spezifischen Spritverbrauch verstanden. Spezifisch meint dabei nicht den absoluten Verbrauch, also die Gesamtmenge des verbrauchten Treibstoffs. Bei spezifischen Verbräuchen bezieht man den jeweiligen Verbrauch immer auf eine sinnvolle Bezugsgröße.

Für den spezifischen Spritverbrauch hat man sich als Bezugsgröße auf die gefahrenen Kilometer geeinigt. Wenn man hört, dass ein Fahrzeug 20 Liter Sprit pro 100 Kilometer gefahrener Strecke verbraucht, wissen die meisten sofort: Hier handelt es sich um ein Fahrzeug mit einem eher hohen Verbrauch, möglicherweise sogar um einen seltenen Oldtimer, denn vor 40 Jahren waren Verbräuche deutlich über zehn L/100 km für Autos durchaus keine Seltenheit. Auf der anderen Seite ist ebenfalls hinlänglich bekannt, dass ein Verbrauch unter 5 L/100 km als eher gering einzuschätzen ist.

Bei Wohnhäusern hingegen ist das Wissen um die spezifischen Verbräuche bei Weitem nicht so ausgeprägt wie bei Autos – und das, obwohl die jährlichen Energiekosten für das Wohnen in vielen Haushalten sogar höher sind als die Spritkosten, die durch das Autofahren anfallen. So gesehen müsste es doch eigentlich eher umgekehrt sein: Wir alle müssten und sollten viel besser über unseren persönlichen Wärmeenergieverbrauch in unseren Häusern und Wohnungen Bescheid wissen. Da liegt die Frage nahe: Warum ist das so – und warum wird dagegen nichts getan?

Ein gescheiterter Versuch: Der Energieausweis

Wir halten fest: Über unseren spezifischen Wärmeenergieverbrauch wissen wir in der Regel viel zu wenig. Dass dagegen überhaupt nichts unternommen wurde und wird, stimmt allerdings nicht. Im Jahr 2002 hat man dazu ein großflächiges Experiment gestartet, das bis heute läuft. Damals wurde der Energieausweis für Gebäude, ein Dokument, in dem der spezifische Verbrauch von Gebäuden ausgewiesen wird, eingeführt.

Mit der Einführung des Energieausweises sollte das Wissen um die energetische Qualität unserer Häuser und Wohnungen quasi per Verordnung zu einem Allgemeinwissen gemacht werden. Hiervon hat man sich erhofft, mit der ausgewiesenen energetischen Qualität ein zusätzliches Entscheidungskriterium beim Erwerb einer Immobilie – und damit auch mehr Transparenz am Gebäudemarkt – zu schaffen. Die Idee: Wenn mit jedem Verkauf oder bei jeder Vermietung ein Energieausweis vorgelegt werden muss, in dem der spezifische Wärmeenergieverbrauch bzw. Wärmeenergiebedarf ausgewiesen ist, dann wird sich auch das Wissen rund um den Energieverbrauch sicher schnell verbreiten und, wie beim Spritverbrauch, zu Allgemeinwissen werden. Der Energieausweis war daher erst mal eine wirklich spitzen Idee und hatte das Zeug dazu, eine ganz große Nummer zu werden und den Wohnungsmarkt nachhaltig zu verändern.

Einige werden es an dieser Stelle schon ahnen: Der Energieausweis ist zwar als Tiger gesprungen, aber leider nur als Bettvorleger gelandet. Der Plan mit der Transparenz am Gebäudemarkt ging nämlich kräftig schief – mehr noch: Er hat für eine Menge Unmut und noch mehr Verwirrung gesorgt. Die im Ausweis dokumentierten spezifischen Verbrauchs- oder Bedarfswerte können je nachdem, von wem und wie sie ermittelt werden, so stark voneinander abweichen, dass der Energieausweis als verlässliches Bewertungsinstrument für die Energieeffizienz eines Gebäudes völlig unbrauchbar ist. Wenn überhaupt, vermittelt er uns nur eine ganz grobe Ahnung (Daumen hoch / Daumen runter) von der energetischen Qualität eines Gebäudes – mehr aber nicht. Wie es dazu kam, ist eine Geschichte, die ich Euch kurz erzählen möchte.

Als bekannt wurde, dass der Energieausweis eingeführt werden soll, meldeten sich sofort die Interessenverbände aus der Immobilienwirtschaft und gaben ihre Bedenken und Wünsche ab. Die wollten verhindern, dass die im Gebäudebestand vorhandenen, überwiegend alten und energetisch teils katastrophalen Mietshäuser im Energieausweis zu schlecht wegkommen. Zu teuer sollte er natürlich auch nicht sein. Die Lobbyarbeit der Immobilienwirtschaft war ein großer Erfolg. Nachträglich wurden etliche Änderungen und Ausnahmen gemacht. Und als dann irgendwann alle (teils auch absurden) Wünsche berücksichtigt waren, war der Energieausweis praktisch wertlos geworden. Beim „Wunschkonzert“ der Verbände wurde irgendwann und schleichend das eigentliche Ziel komplett aus den Augen verloren. Damit ihr eine ungefähre Vorstellung von den Problemen des Energieausweises bekommt, möchte ich zumindest mal auf die größten Absurditäten eingehen.

Eines der Hauptprobleme des Energieausweises für Gebäude besteht in der Tatsache, dass es unterschiedliche Berechnungsmethoden gibt. Das fängt schon damit an, dass man für den Ausweis sowohl Verbrauchsdaten verwenden kann (Verbrauchsausweis), als auch eine sogenannte Bedarfsberechnung machen darf (Bedarfsausweis). Beim Verbrauchsausweis werden, wie es der Name schon sagt, die tatsächlichen Energieverbräuche für den spezifischen Energieverbrauch hergenommen. Bei der Bedarfsberechnung wird dagegen ein Modell vom Gebäude gemacht und sämtliche Wärmeverluste über die Außenbauteile, die Lüftungsverluste und die Heizungsanlage rein theoretisch berechnet. Das sind also schon mal zwei komplett unterschiedliche Herangehensweisen, die zwei unterschiedlichen Ergebnissen führen. Aber damit nicht genug: Bei der Bedarfsberechnung gibt es wiederum zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden. Beide führen – Überraschung! – zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Ein weiteres Problem versteckt sich in der Bezugsgröße. Wir erinnern uns: Beim spezifischen Spritverbrauch eines Autos werden als Bezugsgröße die gefahrenen Kilometer verwendet. Eine entsprechend naheliegende Bezugsgröße für die Wärmemenge in einem Haus wäre daher die beheizte Wohnfläche. Für den Energieausweis hat man aber unerklärlicherweise nicht auf das Naheliegende zurückgegriffen, sondern hat sich etwas ganz Neues ausgedacht: Die sogenannte Gebäudenutzfläche. Die Gebäudenutzfläche ist aber eine Fläche, die im Gebäude so gar nicht existiert, da sie aus dem beheizten Gebäudevolumen (Volumen x 0,32) ermittelt wird. Egal, wie oft wir mit dem Metermaß nachmessen würden: Die Gebäudenutzfläche entspricht keiner der real vorhandenen Wohn- oder Nutzflächen eines Hauses. Und nicht nur das, sie weicht auch noch deutlich von der beheizten Wohnfläche ab. Dadurch versteht natürlich niemand, der nicht vom Fach ist, wo diese obskure Gebäudenutzfläche herkommt. Und als von der Wohnungswirtschaft „gewünschter“ Nebeneffekt wird der ausgewiesene spezifische Energiebedarf systematisch etwas kleiner gerechnet, als er tatsächlich ist.

Die genannten Punkte allein reichen bereits aus, um den Energieausweis unbrauchbar zu machen. Aber es geht noch weiter, denn es gibt auch für die Gebäudenutzfläche wieder Ausnahmen und Nebenregeln. Wenn ich etwa das beheizte Gebäudevolumen nicht kenne, darf ich die Wohnfläche „auf Grundlage der Wohnflächenverordnung oder der Zweiten Berechnungsverordnung“ verwenden. Diese wird dann mit dem einen oder anderen Faktor multipliziert. Und – Überraschung! – je nachdem, welche Variante der Gebäudenutzfläche ich wähle, komme ich wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Ihr seht: Beim Energieausweis gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, um zu einem Ergebnis für den spezifischen Energiebedarf oder spezifischen Energieverbrauch zu kommen – und da haben wir über potenzielle Abweichungen, die sich durch eine fehlerhafte Ausweisersterstellung ergeben können, noch gar nicht gesprochen. Wie groß die Unterschiede in der Praxis dann tatsächlich sein können, wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach in sogenannten Feldtests festgestellt. Das, was ich euch hier erzähle, ist also keineswegs irgendein Geheimwissen.

Der Test – Wenn die Zahlen Tanzen lernen

Von allen mir bekannten Feldtests verdeutlicht ein im Jahr 2015 von Haus & Grund durchgeführter Test (Presseinformation vom 23. September 2015) die Probleme des Energieausweises meiner Meinung nach am eindrucksvollsten. Hier wurden fünf zugelassene Ausstellerinnen und Aussteller mit der Erstellung eines Energieausweises für ein und dasselbe Einfamilienhaus beauftragt. Bei dem Haus handelte es sich um eine Doppelhaushälfte, Baujahr 1984, mit fossiler Heizung. Es wurden sowohl Verbrauchs- als auch Bedarfsausweise erstellt. Und jetzt aufgepasst: Die Ergebnisse der fünf Energieausweise lagen beim ermittelten Endenergiebedarf bzw. -verbrauch zwischen 131 und 243 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Diese Ergebnisse entsprechen einer Menge von rund 13 bis 24 Litern Heizöl pro Quadratmeter und Jahr und weichen damit fast um den Faktor zwei voneinander ab.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen deutlich: Durch die Vielzahl der Berechnungsalternativen, Ausnahmen und Ungenauigkeiten ist der Energieausweis als Bewertungsinstrument, um die energetische Qualität eines Gebäudes verlässlich einzuschätzen, vollkommen unbrauchbar geworden. Die spezifischen Kennwerte, die im Ausweis stehen, könnte man genau so gut auch würfeln. Jeder Euro, den man für einen Energieausweis zu viel ausgibt, ist daher ein verschenkter Euro – rausgeschmissenes Geld. Daher rate ich euch: Solltet ihr mal in die Situation geraten, einen Energieausweis zu benötigen, weil ihr ein Haus oder eine Wohnung verkauft oder vermietet, dann nehmt das billigste Angebot, das ihr finden könnt. Die Höhe der Kosten für den Energieausweis ist keineswegs ein Qualitätskriterium.

Aber trotz seiner enormen Schwächen ist der Energieausweis bei Vermietung und Verkauf weiterhin zwingend vorgeschrieben. Man kommt bei Verkauf und Vermietung von Immobilien nicht an ihm vorbei. Er ist in seiner heutigen Form somit letztlich zwar ein unliebsames, aber notwendiges Übel.

Für eine flächendeckende Bewertung der energetischen Qualität unserer Häuser wäre er übrigens selbst dann nicht geeignet, wenn er brauchbare Ergebnisse liefern würde. Denn wenn ich mein Haus nicht vermiete, sondern selbst bewohne, brauche ich keinen Energieausweis. Und wer gibt schon Geld für etwas aus, was nicht gebraucht wird?

Damit wären wir wieder am Anfang dieser Kolumne angekommen sind, wo es hieß: „Wenn man sich Gedanken darüber macht, ob und wo man seinen Energieverbrauch in seinem Haus oder seiner Wohnung reduzieren kann, sollte man zunächst verstehen, wie der eigene Verbrauch überhaupt einzuschätzen ist.“ Der Energieausweis ist es nicht. Wir brauchen also zwingend eine Alternative bei der energetischen Bewertung unserer Häuser und Wohnungen.

Wie das geht, den Energieverbrauch eurer Häuser und Wohnungen wirklich gut und mit einfachen Mitteln selbst einzuschätzen, das erzähle ich euch dann das nächste Mal. Ihr werdet staunen!

Euer Carsten

 

 

 

 

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