KRANKHEITEN FRÜH ERKENNEN

Neue Biotech-Verfahren in Kombination mit künstlicher Intelligenz könnten einen Durchbruch im Kampf gegen Krebs, Herzinfarkt und viele andere schwere Krankheiten bedeuten. Damit bleibt das Thema Gesundheit von klein auf ein Zukunftsmarkt.
Wenn es nach Paul Wiggermann geht, hat der Pharmakonzern Roche mit der Grundsteinlegung für sein neues Laborgebäude Ende Juni mehr als nur den ersten Schritt gemacht. Für den Werksleiter war die kleine Feier der Beginn einer Ära, in der der deutsche Standort im bayerischen Penzberg „weltweit Bedeutung haben wird“. Erst im vergangenen November hatte Roche an gleicher Stelle den Grundstein für den Bau eines neuen Produktionsgebäudes im Wert von 600 Millionen Euro gelegt.
In dem zusätzlichen Laborkomplex will der Schweizer Konzern ab Ende des kommenden Jahres Reagenzien herstellen, die notwendig sind, um das unternehmenseigene SBX-Verfahren im großen Stil für den Forschungs- und Entwicklungsbetrieb zu nutzen. Das SBX-Konzept ist für Roche „die Schlüsseltechnologie für die nächste Generation der Diagnostik“. Mithilfe dieses Verfahrens lässt sich die Genetik etwa von Krebs, Parkinson und Autoimmunerkrankungen entschlüsseln, um dann neue Erfolg versprechende Therapien zu entwickeln. Wie diese Krankheiten auftreten und fortschreiten, wird von Hunderten, manchmal sogar Tausenden von Genen beeinflusst. Die Möglichkeit, deren DNA zu „lesen“ und die Genetik zu entschlüsseln, gibt es zwar schon länger. Mit dem SBX-Verfahren kann Roche diesen Schritt jedoch eigenen Angaben zufolge bedeutend schneller und präziser durchführen. „Damit können wir 100 Millionen Basen pro Sekunde sequenzieren und so die Herausforderungen einer schnelleren und stärker personalisierten Diagnostik bewältigen“, sagt Dieter Heindl, der maßgeblich an der Entwicklung der Technologie beteiligt war. Der Erfolg steht und fällt jedoch mit der Qualität der Reagenzien.
Roche investiert 40 Millionen Euro in das neue Laborgebäude – eine Kleinigkeit im Vergleich zu den umgerechnet drei Milliarden Euro, die der Merck-Konzern aus Darmstadt für die Übernahme des US-amerikanischen Biotech-Unternehmens Springworks Therapeutics Anfang Juli aufgewendet hat. Es ist die größte Übernahme für Merck seit 20 Jahren. Die neue Tochter hat sich auf personalisierte, präzisionsmedizinische Therapien bei der Behandlung von Krebs spezialisiert. Bei der Entwicklung eigener Medikamente konzentriert man sich auf einzelne Moleküle oder bestimmte Prozesse im Körper, die für das Krebswachstum von Bedeutung sind.
Merck und Roche sind keine Einzelfälle. Derzeit investieren die etablierten Pharmakonzerne massiv in komplexe Biotech-Verfahren – sei es im eigenen Haus oder durch Zukäufe. Sie erforschen neue, komplexe Therapien, die unter anderem größere Chancen auf Behandlungserfolge in der Onkologie, der regenerativen Medizin und der Immunologie versprechen.
Im Frühjahr dieses Jahres hat beispielsweise eine Studie der Universität Barcelona für Aufsehen gesorgt. Ärzte und Wissenschaftler haben dort mithilfe moderner Biotechnologie eine Immuntherapie entwickelt, die bei drei Krebsarten bahnbrechende Erfolge erzielt hat. Bei mehr als der Hälfte der über 500 behandelten Patienten konnte der Krebs vollständig verdrängt werden. Besonders beeindruckend fielen die Ergebnisse bei lymphatischer Leukämie aus: 90 Prozent der Teilnehmenden sprachen auf die Therapie an. Beim multiplen Myelom (Knochenmarkkrebs) lag die Erfolgsquote bei 60 Prozent und beim Non-Hodgkin-Lymphom (Lymphdrüsenkrebs) bei 50 Prozent. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Therapiekonzept ist der Einsatz sogenannter CAR-TZellen. Dabei werden dem Patienten Immunzellen entnommen, im Labor mit einem Antigenrezeptor ausgestattet und anschließend wieder in den Körper eingebracht.
JEDER FÜNFTE MENSCH ERKRANKT AN KREBS
Neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt Krebs als häufigste Todesursache weltweit – mit steigender Tendenz. Laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) wurden im Jahr 2022 rund 20 Millionen neue Krebsdiagnosen gestellt. Drei Jahre zuvor waren es 19,3 Millionen. Etwa jeder fünfte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. Einer von neun Männern und eine von zwölf Frauen stirbt daran. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Krebsdiagnosen laut Prognosen der IARC auf 35 Millionen pro Jahr klettern. Gründe dafür sind unter anderem der Bevölkerungszuwachs, die steigende Lebenserwartung sowie erhöhte Risiken durch den Konsum von Alkohol oder Tabak und zu wenig Bewegung.

Reinraum eines Medizintechnikunternehmens: Hier fertigen Mitarbeitende unter strengsten Hygienestandards präzise medizinische Produkte.
GESUNDHEITSKOSTEN IN RELATION SEHEN
Wissenschaftler des Heidelberg Institute of Global Health haben 2023 eine Studie veröffentlicht, der zufolge die globalen wirtschaftlichen Kosten von Krebserkrankungen im Zeitraum von 2020 bis 2050 auf 25,2 Billionen US-Dollar (zu konstanten Preisen von 2017) ansteigen werden. Zum Vergleich: Die weltweiten Gesundheitsausgaben für das Jahr 2021 schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen Rekordwert von 9,8 Billionen US-Dollar. „Die neuen Therapien sind zwar zum Teil teurer als früher“, sagt Christof von Kalle, Professor und Vorsitzender des Bereichs Klinisch-Translationale Wissenschaften am Berlin Institute of Health (BIH) der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Er widerspricht jedoch dem Argument, dass die Krebsbehandlung besonders kostspielig sei.
Quelle: fondsmagazin – Newsletter der DekaBank
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