Fertig machen zur Wende

Fertig machen zur Wende

 

Der Klimawandel sowie konkrete staatliche und wirtschaftliche Pläne verändern nachhaltig unsere Energieversorgung. Das hat auch Bedeutung für Anlegerinnen und Anleger und deren Vermögensbildung.

Die linksrheinische Autofahrt von Köln ins benachbarte Düsseldorf bietet zur abendlichen Stunde beim Blick gen Westen ein mitunter spektakuläres Panorama. Vor der untergehenden Sonne baut die Phalanx der drei Kraftwerke, die die Kohle aus dem direkt angrenzenden Braunkohlerevier verstromen, eine imposante Kulisse am Horizont auf. Gleich rechts daneben ragen die ersten Windräder des Windparks Garzweiler empor, der sich Richtung Norden erstreckt. Ein Bild mit Symbolcharakter. Auf der einen Seite, die im wahrsten Sinne des Wortes schmutzige Variante, Energie zu erzeugen: mit täglich anfallenden Tonnen an Staub, Ruß und vor allem klimaschädlichem CO2. Auf der anderen Seite der moderne Gegenentwurf, mit der Kraft des Windes umweltfreundlich Strom zu produzieren.

Dass dieses Bild zum Ende dieses Jahrzehnts noch so zu sehen sein wird, ist zunehmend unwahrscheinlich. Der Druck auf die künftige Bundesregierung steigt, den bereits beschlossenen Ausstieg aus der Kohleverstromung von 2038 auf das Jahr 2030 vorzuziehen. In einer Anfang Oktober veröffentlichten Studie kommen Wissenschaftler renommierter Forschungsinstitute zum Schluss: Will Deutschland seine Klimaziele erreichen, muss der Ausstieg aus der Kohle früher als geplant kommen und der Ausbau beim Ökostrom deutlich schneller erfolgen. „Die Klimaschutzziele für 2030 und 2045 sind extrem herausfordernd und können nur mit massiven Investitionen, zusätzlichen politischen Maßnahmen und Infrastrukturaufbau in allen Sektoren erreicht werden“, heißt es in der Studie.

Bereits Ende vergangenen Jahres zeigte eine andere Untersuchung im Auftrag der Agora Energiewende, dass die Kohleverstromung auch wirtschaftlich zunehmend unrentabel wird. Wenn die Europäische Union (EU) im Zuge ihres Green Deals ab 2030 den CO2-Preis nach oben schraubt, werden sich die Kosten für Strom aus der besonders klimaschädlichen Braunkohle verdoppeln. Beim Einsatz von Steinkohle wird Strom um 50 Prozent teurer. Kommt tatsächlich in knapp zehn Jahren ein CO2-Preis von 100 Euro, wie es derzeit diskutiert wird, dürfte sich ein vorzeitiger Kohleausstieg damit von alleine regeln.
Auch die deutsche Wirtschaft fordert mehr Tempo bei der Energiewende. Zu Beginn der vertieften Sondierungsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP appellierten 69 deutsche Konzerne an die Bundesregierung in spe, den Ausbau von Wind- und Solarparks massiv voranzutreiben. Die Unterzeichner, zu denen unter anderem der Versicherungsriese Allianz, die Drogeriekette Rossmann und die Versorger EnBW und Eon gehören, fordern, dass bis 2030 mindestens 70 Prozent des deutschen Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien zu decken sind. Bisher sind es weniger als 50 Prozent. Die Unternehmen wollen verlässliche Rahmenbedingungen haben, wie die Politik Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bis 2045 führen will. Viele erhoffen sich auch neue Geschäfte beim Umbau der Wirtschaft.

Energieverbrauch in Deutschland

Langer Weg bis zum Ende der Kohle

Die immer strengeren Klimaregeln treffen dabei nahezu jede Branche – von Stahl- über Maschinen- und Automobilbau bis hin zu Touristik, Handel und Wohnungswirtschaft. Es wird noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis genug Versorgungskapazitäten aus erneuerbaren Energien bereitstehen, um damit den kompletten Strombedarf in Deutschland zu decken. „Ein direktes Abschalten der Kohlekraftwerke, um das CO2 schnell zu senken, wäre technisch und wahrscheinlich auch juristisch möglich. Aber dann müsste die Frage beantwortet werden, wie man die Kohleverstromung ad hoc ersetzt“, sagt Michael Schneider, Fondsmanager bei der Deka. „Das müsste Hand in Hand gehen mit einem zügigen Ausbau einer modernen Strominfrastruktur.“ Die Strategie dafür steht noch nicht. Verstärkter Einsatz von Gas wäre eine Übergangslösung. „Doch wer soll in neue Gaskraftwerke und die notwendige Versorgungsinfrastruktur investieren, wenn in einigen Jahren der komplette Ausstieg aus der fossilen Energie ansteht?“, so Schneider. Zudem besteht die Gefahr, dass Deutschland „schmutzigen“ Strom aus Nachbarländern importiert, um Versorgungsengpässe im Inland zu überbrücken. Problematisch für die Klimastrategie einer neuen Bundesregierung.

Unternehmen müssen auch umbauen

Allein mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist es außerdem nicht getan. Die Unternehmen sind gefordert, ihre Produktions- und Logistikprozesse, mitunter sogar ihr gesamtes Geschäftsmodell umzubauen, um die Wende hin zu einem nachhaltig emissionsfreien Wirtschaften zu schaffen. Firmen, die zurückhängen oder nicht mitziehen, riskieren nach Einschätzung von Klimaexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über kurz oder lang ihre Existenz. Auch deshalb, weil die Investoren „schmutzigen“ Unternehmen zunehmend den Geldhahn zudrehen werden. „Wer sich als Investor entgegen den Klimazielen in Unternehmen engagiert, die fossile Brennstoffe fördern oder verarbeiten oder die weiter hohe CO2-Emissionen produzieren, setzt sich prinzipiell erheblichen Reputationsrisiken aus“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei der Deka. „Auch die ökonomischen Risiken eines solchen Engagements steigen tendenziell. Denn im Zuge der globalen Energiewende wächst die Gefahr, dass Kohlereserven an Wert verlieren, was auch Konsequenzen für ihre wirtschaftliche Situation hat.“ Sinkt der Wert der Kohle, sinkt also auch der Wert des Unternehmens, das sie hortet.

Anlegende sollten an Depotcheck denken

Immer mehr Banken, Versicherer und Vermögensverwalter ziehen sich daher zum Beispiel schon heute aus Kohlefirmen zurück. „Die Deka hat für ihre aktiv gemanagten Fonds das potenzielle Investmentuniversum an Unternehmen mit Bezug zur Kohleförderung und -verarbeitung seit Februar 2020 stark eingeschränkt und entsprechende Investitionen reduziert“, erläutert Speich.

Private Anleger sind damit auf Dauer gut beraten, ihr Depot nach möglichen Verlierern der Energiewende abzuklopfen. Zugleich sollten sie an die Chancen denken, die der anstehende Umbau der Wirtschaft für viele Unternehmen bietet. „Die Digitalisierung von Prozessen in der Industrie, aber auch die Dezentralisierung der Energieversorgung bis auf die Ebene des einzelnen Haushalts durch Wärmepumpen, Energiespeicher und Fotovoltaik bietet insbesondere im Bereich von Einfamilienhäusern vergleichsweise großes CO2-Einsparpotenzial“, sagt Klaus-Heiner Röhl, Ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Auch Fondsmanager Schneider sieht hier Potenzial. „Fast alle großen europäischen Versorger wie etwa Eon oder Enel verfolgen eine 3-D-Politik: Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Digitalisierung. Sie sind der Schlüssel für die Energiewende – in Deutschland wie in ganz Europa. Stimmen die Rahmenbedingungen und fokussieren sich Stromversorger auf ihre Kernkompetenz, bieten sie gute Investmentchancen“, so der Experte. „Die Energieinfrastruktur in vielen westlichen Ländern ist überaltert und muss erneuert werden. Damit besteht ein strukturelles Wachstumspotenzial.“ Für Schneider ergeben sich dadurch vielfältige Anlagemöglichkeiten. „Es gibt bestehende Unternehmen, die sich ‚vom Saulus zum Paulus‘ wandeln, aber auch neue Geschäftsmodelle von Unternehmen, die darauf ausgerichtet sind, Energie einzusparen, oder zum Beispiel den Umbau auf ressourcenschonende Prozesse planen.“

Audi zum Beispiel will von 2026 an nur noch Autos mit Elektromotor verkaufen. Mercedes möchte ab 2030 nachziehen. Die Lkw-Tochter von VW, Traton, arbeitet am Einsatz der Brennstoffzelle in Nutzfahrzeugen. Der Technologievorstand von Daimler Truck, Andreas Gorbach, sieht indes in den eigenen Fahrzeugen zunächst kein Potenzial für alternative nachhaltige Antriebe. Der Wirkungsgrad der Batterie sei weit höher als jener der Brennstoffzelle, das treffe aber auch auf den Diesel im Vergleich zum Benzinmotor zu, sagt er. Letzterer sei trotzdem weltweit der primäre Antrieb in der Fahrzeugindustrie. „Das liegt an der Verfügbarkeit und den weltweiten Kraftstoffpreisen“, so Gorbach. Andere Unternehmen gehen die Energiewende smart an, so wie etwa Autobidder, das zu Tesla gehört. Das Unternehmen bietet unabhängigen Stromerzeugern, -versorgern, aber auch Investoren die Möglichkeit, zum Beispiel Stromspeicheranlagen eigenständig zu monetarisieren. Dafür hat Autobidder eine Onlineplattform aufgebaut, auf der professionelle, aber auch private Akteure Strom einschließlich der Systemdienste und Kapazitäten handeln können.

„Einen etwas anderen Ansatz fährt Enel X“, sagt Schneider. „Die Firma bietet für Elektroautos ein komplettes Sortiment intelligenter Ladeinfrastruktur für private Haushalte, Firmen und Kommunen an. Damit ist eine zeitliche Steuerung von Ladevorgängen möglich, bis hin zu einem automatischen Last- und Flottenmanagement. Das ist mit dem Umstieg auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge und dem damit verbundenen Bedarf an Ladestruktur allein schon in Deutschland ein Riesenmarkt.“ Die aktuelle Lieferkrise könnte allerdings kurzfristig ein Hemmschuh sein. Nach Ansicht von IW-Chef-Ökonom Michael Grömling würden die brüchigen Lieferketten die Investitionsbereitschaft in der Weltwirtschaft hemmen und damit 2022 zu einer möglichen Konjunkturbremse werden.

Langfristig jedoch wird das nichts daran ändern, dass das Bild auf der abendlichen Autofahrt entlang des rheinischen Braunkohle­reviers ein anderes sein wird. Dort, wo heute Bagger nach Kohle graben, werden wahrscheinlich schon bald neue Windparks entstehen. Das optische Spektakel zum Sonnenuntergang wird dadurch nicht weniger reizvoll – nur ist es eben CO2-neutral.

Quelle: fondsmagazin.de
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