„Fachkräftemangel bremst Digitalisierung in Deutschland“

eingestellt von Carolin Berger am 18. Oktober 2022

„Fachkräftemangel bremst Digitalisierung in Deutschland“

 

Offene Stellen sind immer schwerer zu besetzen

Der wachsende Mangel an Fachkräften bremst Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum der deutschen Wirtschaft. Dass Unternehmen genügend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden können, ist eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Was Betriebe tun können, mit welchen Vorteilen sie punkten können und welche Rolle ein Fußballverein dabei spielt.


Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland sind nach wie vor gut ausgelastet. Doch passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf dem Arbeitsmarkt rar. Zwei von drei Arbeitsplätzen, die eine Berufsausbildung oder ein Studium voraussetzen, sind laut Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) bereits heute schwer oder gar nicht zu besetzen.

Lange Vakanzen

Vor allem in der Pflege, auf dem Bau und im Handwerk ist die Situation besorgniserregend. In der Altenpflege dauert es durchschnittlich 238 Tage, bis eine offene Stelle wiederbesetzt wird, in einzelnen Handwerksbereichen 230 Tage. Die Zahlen liegen deutlich über dem deutschlandweiten Durchschnitt für alle Berufe von 118 Tagen, wie die Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2021 berichtet.  Vor allem für kleinere Unternehmen und Betriebe wird es immer schwerer, qualifiziertes Personal zu gewinnen.

Je länger eine Stelle vakant bleibt und das Besetzungsprozedere andauert, desto mehr Kosten fallen für ein Unternehmen an. Das fängt bei Kosten für Stellenanzeigen an, geht über Aufwände für die Auswahlinterviews oder -tests, belastet die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und führt zu Produktionsausfällen oder Engpässen bei Dienstleistungen.

Wenn Wirtschaft und Politik nicht wirkungsvoll gegensteuern, könnten allein in Deutschland bis zum Jahr 2030 insgesamt drei Millionen Fachkräfte fehlen, so die Prognose des Forschungsinstitut Prognos.

Gründe für Fachkräftemängel und -engpässe

Demografie

Die Ursachen für den spürbaren Fachkräftemangel und die Engpässe sind vielfältig. Ein Hauptfaktor ist der demografische Wandel und die damit verbundene zunehmende Alterung der Gesellschaft. Geburtenraten waren in den vergangenen Jahrzehnten rückläufig, vielerorts fehlt der Nachwuchs. Es gibt mehr offene Stellen als Bewerberinnen und Bewerber. Zugleich muss in unserer immer älter werdenden Gesellschaft ein immer größerer Pflegebedarf einer langfristig gedeckt werden. Ausgerechnet in diesen Bereichen fehlen besonders viele Arbeitskräfte.

Digitalisierung

Auch die zunehmende Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen trägt zum Fachkräftemangel bei: Arbeit verändert sich Arbeitsinhalte, es ist viel mehr komplexeres Fachwissen notwendig. Unternehmen bräuchten Expertinnen und Experten mit neuen Qualifikationen für neue Berufsbilder, während einige althergebrachte Berufe nach und nach an Bedeutung verlieren, so die Studie „Arbeitslandschaft 2040“.

Ebenso wie die Digitalisierung der Arbeitswelt den Fachkräftemangel verstärkt, kann allerdings auch eine zu zögerliche Digitalisierung zum Hemmschuh werden: Sie macht ein Unternehmen oder eine Branche weniger attraktiv für Bewerberinnen und Bewerber Fachkräftemangel als bei Branchen mit höherem Digitalisierungsgrad. Ein Beispiel dafür ist die Bauindustrie, die laut Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021 zurzeit die am wenigsten digitalisierte mittelständische Branche ist.

Globalisierung

Deutsche Fachkräfte, die gut ausgebildet oder studiert sind, können sich in gefragten Branchen ihre Jobs in der Regel aussuchen und stehen auch einer Beschäftigung im Ausland immer öfter offen gegenüber. Vor allem in der IT-Branche ziehen deutsche Unternehmen des Mittelstands im Gegensatz zu ihren internationalen Wettbewerbern oft den Kürzeren. Im Jahr 2030 werden hierzulande vermutlich über eine Million IT-Fachkräfte dringend benötigt, so das Ergebnis des „Future of Job“-Reports der Boston Consulting Group (BCG).

Abnehmende Attraktivität der Ausbildungen

Viele Unternehmen suchen dringend Nachwuchs in Ausbildungsberufen. Denn eine angespannte Ausbildungssituation kann ein ernstzunehmendes Geschäftsrisiko bedeuten. Immer mehr Schulabsolventinnen und -absolventen entscheiden sich für eine akademische Laufbahn. Das einstige deutsche Erfolgsmodell der dualen Ausbildung interessiert weniger junge Menschen denn je, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Vor allen die Ausbildungsberufe in Handwerk und Pflege hätten ein Image- und Attraktivitätsproblem.

Dabei werden gerade in einigen dieser Bereiche – z. B. Bau- und Ausbauberufen, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik sowie in der ökologischen Landwirtschaft –Fachkräfte händeringend gesucht, etwa um die Maßnahmen für Klimaschutz und Energieeffizienz an Gebäuden oder den Ausbau der erneuerbaren Energien umzusetzen. Bereits im Jahr 2025 werden allein zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben in diesen Bereichen rund 400.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, heißt es in einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB).

Fachkräftemangel ist nicht in jeder Branche gleich groß

Die Bundesagentur für Arbeit spricht zwar lieber von „vereinzelten Engpässen“ als von einem Fachkräftemangel, bei dem flächendeckend einer großen Zahl offener Stellen eine erheblich geringere Zahl verfügbarer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüberstünde. Ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitenden und Fachkräften ist dennoch bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Branchen – unter anderem in vielen Berufsfeldern der Handwerks- und Baubranche, dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und im Gesundheitswesen – sehr deutlich zu spüren.

Zu den sechs am stärksten nachgefragten Berufsgruppen zählen der Bereich Bau- und Ausbauberufe (23,6 Prozent). Es folgen IT- und naturwissenschaftliche Berufe (17,9 Prozent), unternehmensbezogene Dienstleistungen (16,9 Prozent) und Fertigungs- sowie fertigungstechnische Berufe (11,2 beziehungsweise 8,5 Prozent), so der Mittelstandskompass 2022.

Wie Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegentreten

Um neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu gewinnen, wollen 53 Prozent befragter Unternehmen ihre Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. Die eigene Ausbildung intensivieren wollen 46 Prozent. Um mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland wollen sich 34 Prozent bemühen. Jedes dritte Unternehmen, das mit Stellenbesetzungsproblemen zu kämpfen hat, möchte Weiterbildung für die Belegschaft anbieten. 29 Prozent der Betriebe wollen speziell in Mitarbeiterkompetenzen zur Bewältigung von Digitalisierung beziehungsweise Strukturwandel investieren. Mehr als jeder vierte Betrieb sieht einen Lösungsansatz darin, sich mehr auf ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fokussieren, das zeigt der DIHK-Fachkräftereport 2021.

Trend: „Baufluencer“

Immer mehr Handwerkerinnen und Handwerker versuchen im Internet, neue Kolleginnen und Kollegen für ihren Betrieb und die Branche zu begeistern. Sogenannte „Baufluencer“ – ein Kofferwort aus Bau und Influencer – präsentieren sich teils sachlich, teils humorvoll oder beides auf Social-Media-Kanälen wie Instagram, Tiktok oder Youtube und berichten von ihrem Arbeitsalltag, sprechen Klischees und Vorurteile an oder geben fachliche Tipps. Dadurch wollen sie nicht nur das Image der Baubranche aufpeppen, sondern auch neuen Nachwuchs gewinnen sowie Kolleginnen und Kollegen ein Netzwerk schaffen.

Fachkräftemangel kann auch positive Auswirkungen haben. Durch die teils angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt kommen vermehrt Bewerberinnen und Bewerber zum Zuge, die es auf dem Arbeitsmarkt bislang eher schwerer hatten. Das führt zwangsläufig zu mehr Diversität in der Belegschaft. Vielfältige Teams haben nachweislich wiederum positive Auswirkungen auf Unternehmen und auf die Gesellschaft.

 

Herr Burkert, trotz Ukraine-Krieg und dank den Lockerungen der Corona-Maßnahmen setzt sich die Erholung am Arbeitsmarkt fort. Immer mehr Menschen haben einen Job. Die Arbeitslosenquote lag im April bei nur 5 Prozent. Alle jammern über den Fachkräftemangel, aber sind diese Zahlen nicht erst einmal positiv?

Uwe Burkert: In den kommenden Jahren werden wir demografische Veränderungen beantworten müssen. Die Situation ist positiv dahingehend, dass wir mit den neuen Technologien den weniger werdenden Arbeitskräften perspektivisch begegnen können.

Aktuell ist es aber leider so, dass wir in den Branchen, die wir brauchen, um uns entsprechend aufzustellen – also im Bereich Software-Entwicklung und IT-Anwendung – zu wenig Personal haben. Es fehlen also genau die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Schritt von der Industrie 3.0 zur Industrie 4.0 bewerkstelligen sollen.
Wir laufen Gefahr, dass wir auf der einen Seite ein Überschuss an Arbeitskräften haben, weil bestimmte Tätigkeiten wegfallen. Dem gegenüber steht ein großes Defizit an Fachkräften.

Die Bundesagentur für Arbeit spricht davon, dass es in einigen Berufen Engpässe gibt. Alles andere wird von der Politik so nicht benannt. Ist der Fachkräftemangel ein Mythos?

Bei beruflichen Einsteigern fehlt es an den richtigen Kompetenzen. Die Bewerberzahlen sind rückläufig. Die Qualifikation leidet. Das Resultat: Es werden nicht alle Ausbildungsplätze adäquat besetzt. Das höre ich auch aus Handwerk und Mittelstand. Dort aber natürlich auch deswegen, weil die Konkurrenz durch die Großunternehmen nach wie vor recht hoch ist.

Wir haben inzwischen auch eine deutliche Bewegung aus der Fläche hin zu den Städten, vor allem im Bereich der neuen Technologien. Gefragte Städte wie Berlin oder Hamburg sind für kreative Köpfe interessanter als die Schwäbische Alb oder der Hunsrück.

Bremst der Mangel an Fachkräften die Digitalisierung aus?

In der Breite ja. In der Spitze noch nicht. Unternehmen wie SAP oder Bosch können nach wie vor entsprechende Kräfte rekrutieren, auch weil sie weltweit aktiv sind. Aber bei kleineren Mittelständlern ist das Problem Fachkräftemangel existent. Es kommen zwei Dinge zusammen:  Die mangelnde Attraktivität und das allgemeine Standortproblem, man denke an Breitband und 5G-Netze.

Liegt es an der mangelnden Attraktivität der Unternehmen oder legen die Mittelständler zu wenig Geld auf den Tisch?

Noch an beidem. Aktuell sind Unternehmen noch nicht bereit, deutlich mehr Geld für neues Personal auszugeben.
Zum zweiten:  Es ist oft schwer für einen Bewerber festzustellen, wie aktiv und fortschrittlich ein Unternehmen tatsächlich ist. Der Mittelstand muss mehr kommunizieren, etwa so: Wenn ihr bei uns anfangt, seid ihr absolut gefordert und ganz weit vorne an der Spitze der Digitalisierung.

Was ist denn interessant für Bewerberinnen und Bewerber?

Das sind oft eigentümergeführte Unternehmen, die mit flachen Hierarchien arbeiten. Es ist immer interessant, relativ früh Verantwortung zu bekommen und Prozesse von Anfang bis Ende zu sehen.

Mittelständische Unternehmen sind beim Recruiting nicht untätig. Welche Maßnahmen ergreifen sie, um auf den Mangel an qualifizierten Fachkräften zu reagieren?

Es gibt viele Kooperationen mit Schulen. Zum Beispiel versuchen Unternehmen, die Jugendlichen über Schnupperpraktika davon zu überzeugen, dass es gut ist, mit einer Bewerbung in einem mittelständischen Unternehmen durch eine Ausbildung die berufliche Basis zu legen. Auch gibt es ein unheimlich vielfältiges Studienangebot. Vor allem duale Studiengänge sind ein sehr großer Erfolgsfaktor.

Bei den kleineren Handwerksbetrieben oder auch im landwirtschaftlichen Bereich ist das Image nach wie vor schwierig. Dabei ist es extrem spannend, was Digitalisierung und Industrie 4.0 auch dort für Umwälzungen mit sich bringen. Heute bewirtschaftet ein Hightech-Bauer seine Felder GPS-gesteuert. Das ist aber in der Breite der Bevölkerung noch nicht angekommen – und bei Bewerbern erst recht nicht.

Womit können Mittelständler erfolgreich punkten?

Persönliche Betreuung, Erfolg, keine Anonymität, sondern Prozesstransparenz von Anfang bis Ende. Absolute Kundenbezogenheit. Der Wille, in dem Feld, in dem man arbeitet, möglichst der Beste zu sein. Dieser Spirit: Wir schaffen das, wir tüfteln das aus. Das ist ein ganz starkes mittelstandswirtschaftliches Thema.

Attraktiv ist außerdem, auch dauerhaft an dem Betrieb interessiert zu sein und – was Familienbetriebe häufig sind – von Generation zu Generation langfristig mit den Kunden verbunden zu sein. Auch der Standort in der Region kann von Vorteil sein, um wohnortnah zu arbeiten und eine gute Work-Life-Balance zu haben.

Deutschland ist ein Land der Akademiker. Inzwischen studieren mehr junge Menschen denn je. Viele davon waren im Ausland. Würden Sie sagen, die Menschen in Deutschland sind überqualifiziert?

Nein. Wir müssen vielmehr aufpassen, dass wir nicht weiter Leute ausbilden, die in den zukünftigen Prozessen, die ja stark automatisiert laufen, nicht mehr gebraucht werden.

Der Mittelstand ist sehr stark in der forschungs- und anwenderorientierten Technologie. Sicher entwickelt er auch eigene Patente, aber er ist extrem stark in der Adaption. Was wir also brauchen, ist: technologisch ausgebildetes Personal und eine positive Einstellung dazu.

Auch was Behörden und Verwaltungen angeht, haben wir nicht an der Spitze zu viel, sondern eher im mittleren Bereich, also im Verwaltungsbauch. Dort, wo Vorgänge nicht mehr manuell passieren werden, sondern von Anfang bis Ende komplett elektronisch.

Wir können nicht generell von einer Überqualifizierung sprechen. Sondern davon, dass Leute entsprechend ihrer Qualifikation auch eingesetzt werden. Da sehe ich für Deutschland großes Potenzial. Wenn eine Ingenieurin oder Betriebswirtin als Sekretärin arbeitet, aus welchen Gründen auch immer, dann passt der Match nicht. Und gerade die aktuelle Situation in er Bauwirtschaft zeigt: wir brauchen dringend Handwerker und Handwerkerinnen. Ohne diese sind die CO2-Ziele bei den Gebäuden nicht zu schaffen.

Haben Sie bei der Mitarbeitergewinnung einen internationalen Vergleich?

Die skandinavischen Länder sind da unschlagbar im Vorteil: Sie sind weltweit führend bei der Flexibilität und den tatsächlichen Möglichkeiten, Know-how entsprechend einbringen zu können. Diese Flexibilität wird ein ganz wesentlicher Faktor sein, stille Reserven in der Qualifikation zu heben und auch den Wertschöpfungswert zu erhöhen.

Welche Rolle kann die Politik spielen?

Sie sollte den Rahmen für Mindeststandards im Schulsystem schaffen. Wir müssen schon mit dem frühkindlichen Bereich anfangen. Dazu brauchen wir eine Betreuungssituation, in der die Kinder optimal gefördert werden. Es ist aus meiner Sicht ein Unding, dass wir damit so lässig umgehen.

Wenn wir in diesen Bereich nicht investieren, werden wir auf lange Sicht darunter leiden. Auch müssen wir klarer definieren, wie wir mit Schulinhalten umgehen wollen. Die absolute Verschulung wie beim Bachelor ist nicht die Methodenkompetenz, die wir für die Zukunft brauchen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck will den Zugang für ausländische Facharbeiterinnen und Facharbeiter – insbesondere die Zuwanderungsvoraussetzungen für Menschen mit Berufsabschlüssen – erleichtern. In Deutschland fehlen allerdings vielerorts die nötigen Ressourcen und die passende Infrastruktur. Erwarten Sie, dass Unternehmen dadurch flexibler werden und sich die Situation verbessert?

Ich hoffe, dass deutsche Unternehmen neue Fertigkeiten dazugewinnen und deutlich flexibler sein werden. Aber auch hier gilt:  Wenn Fachkräfte aus anderen Ländern zu uns kommen, dann müssen wir den Rahmen dafür schaffen, dass auch deren Kinder gut betreut und sie integriert werden können. Das ist noch ein großer Schritt. Bei uns im mittleren Neckarraum zum Beispiel gibt es wenig internationale Schulen.

Muss sich Deutschland mehr öffnen?

Ja. Nehmen Sie erfolgreiche Fußballvereine: Wie schaffen sie es, dass ihre Spieler sich wohlfühlen? Indem sie wunderbare Rahmenbedingungen schaffen. Wenn ich wirklich gute Mitarbeiter haben will, die sich voll einbringen, dann muss ich ihnen und ihren Familien die entsprechende Umgebung schaffen, damit sie ihre Leistung auch zum Einsatz bringen.

Was ist mit der Ausbildung von jungen Frauen in den technischen Berufen? Was sehen Sie für Handlungsbedarf?

Wir müssen von diesem alten Ingenieursdenken weg. Ich sehe ein unheimliches Interesse von Mädchen und weiblichen Jugendlichen in diesen Fächern. Die Auszeichnungen, die junge Frauen in den naturwissenschaftlichen Fächern erhalten, sind sensationell. Wir müssen es schaffen, diese Neugier und diese guten Chancen weiter am Leben zu erhalten. Wichtig ist, den Einstieg für den weiblichen Nachwuchs zu erleichtern und Hemmschwellen abzubauen. Das wirkt.

Was wünschen Sie sich von Unternehmen?

Dass wir uns von dem Gedanken verabschieden, mit einem einzigen Studium durchs Berufsleben zu kommen. Ich muss zwischen 40 und 70 nochmal ein Studium draufsatteln, um mich auf die Neuerungen einzulassen. Dieses Midlife-Studium würde ich mir von Unternehmen wünschen.

 

Was bedeutet Fachkräftemangel?

Fachkräfteengpass, Fachkräftelücke oder Fachkräftemangel bezeichnet ein (vorübergehendes) Missverhältnis von verfügbaren ausgebildeten Fachkräften zur Anzahl an offenen Arbeitsplätzen. In Deutschland ist dieser Zustand bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Branchen sehr deutlich zu spüren.

Was kann man gegen Fachkräftemangel tun?

Ein geschicktes Rekrutieren von neuem Personal ist das A und O. Nutzen Sie die verschiedensten Kanäle für ihre Anzeigen. Auch wenn Online-Stellenanzeigen heutzutage üblich sind, können Printanzeigen in der gängigen Tagespresse noch erfolgreich sein. Passende Kandidatinnen und Kandidaten können Sie beispielsweise mit Kampagnen auf Xing oder Linkedin erreichen.

Besonders in ländlichen Regionen ist Fachkräfteengpass in bestimmten Sparten und vor allem kleineren Unternehmen ein Kernthema. Auf kommunaler Ebene gibt es daher spannende Ansätze, dem entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist das „Jobentdecker“-Programm im Landkreis Haßberge: Schülerinnen und Schüler widmen dem Programm insgesamt vier Wochen ihrer Sommerferien. Pro Woche besuchen sie jeweils ein Minipraktikum von jeweils drei Tagen in einem Unternehmen, sodass sie am Ende der Zeit Einblicke in vier möglichst unterschiedliche Unternehmen der Region gewonnen haben. An den übrigen Tagen der Woche berichten die Jobentdecker auf Instagram und in einem Blogbeitrag für die Homepage von Jobentdecker über ihre Erlebnisse. Im besten Falle motiviert das mehr zukünftige junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in der Heimat zu bleiben und in einem der regionalen Betriebe einzusteigen.

Die Mobilität ist bei Fachkräften mit einer Berufsausbildung im Vergleich zu Akademikerinnen und Akademiker deutlich schwächer ausgeprägt. Für diese Menschen gilt es, zusätzliche Anreize zu schaffen. Diese können zum Beispiel finanzieller Natur sein. Auch ein optimiertes Gesundheitsangebot, Sport-, Sprach- oder IT-Kurse sind möglich. Je nach Stellenangebot kann es sich daher lohnen, Anzeigen auch überregional zu schalten.

Wichtig ist es auch, sich für weitere Arbeitskräfte zu öffnen, beispielsweise durch familienfreundlichere Strukturen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Betrieb, flexible Arbeitszeiten und -orte und mehr Diversität in der Belegschaft.

Warum herrscht in Deutschland Fachkräftemangel?

Die Ursachen des Fachkräftemangels in Deutschland sind vielfältig, zu nennen sind beispielsweise:

Der demografische Wandel und die damit verbundene zunehmende Überalterung der Gesellschaft
Die fortschreitende Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen
Eine abnehmende Attraktivität bestimmter Ausbildungen
Die Globalisierung und ein damit verbundener erheblich höherer Wettbewerbsdruck.

Wie viele Fachkräfte fehlen in Deutschland?

In Deutschland könnten bis zum Jahr 2030 rund fünf Millionen Fachkräfte fehlen. Hunderttausende Menschen mehr werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, als Arbeitskräfte nachrücken. Allein im Jahr 2022 werden über 300.000 Personen mehr in den Ruhestand gehen als in den Arbeitsmarkt eintreten, das zeigt eine aktuelle Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Wo fehlen die meisten Fachkräfte?

Auch wenn es in Deutschland derzeit keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt, ist es schon heute in bestimmten Regionen und Branchen schwer bis unmöglich, offene Stellen mit geeigneten Fachkräften zu besetzten. Dies betrifft vor allem den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), den IT-Bereich, das Gesundheitswesen sowie die Bau- und Handwerksbranchen. Besonders in Süddeutschland und in den neuen Bundesländern ist die Lage angespannt.

 

 

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