DER KOMMISSAR UND DER FUND

Carsten Herbert - Energiesparkommissar

Carsten Herbert – Energiesparkommissar

Als ich um die Jahrtausendwende begann das Haus zu entrümpeln, glaubte ich noch mein Fund wäre ein Zufall. Erst später wurde mir klar, dass es kein Zufall war. Es war das Haus in dem ich als Kind aufgewachsen bin und in das ich eigentlich niemals zurückkehren wollte. In meinen Erinnerungen war es ein dunkles und kaltes Loch. Der hellste Raum des alten Fachwerkhauses, war der Eingangsbereich, der nicht zum Aufenthalt gedacht war, den man lediglich durchquerte, um sich danach in den fast lichtlosen, kleinen Räumen des Wohnbereichs dahinter zu quetschen.

Das Haus hatte keine Heizung, wie man das heute kennt. Unsere Heizung bestand aus einem zentral im Erdgeschoß angeordneten Holzofen. Durch seine zentrale Lage konnte er bis auf das Bad alle Räume im Erdgeschoß direkt beheizen. Im Bad hing zur Beheizung an der Decke ein kleiner Elektrostrahler, den man über einen Zugschalter nur dann zum Leuchten brachte, wenn man das Bad benutzt. Auf die Temperatur der Klobrille hatte das jedoch keinen Einfluss.

Im Obergeschoss lagen die Schlaf- und Kinderzimmer. Die wurden teilweise über dicke Luftröhren durch den Holzofen im Erdgeschoss beheizt. Da wir Kinder uns im Winter wegen der zu niedrigen Temperaturen, ohnehin nicht in unseren Zimmern aufhalten konnten, wurde auf eine Beheizung aber meisten verzichtet. Ich erinnere mich noch gut an die Eisblumen auf der Innenseite der einfachverglasten Fenster in unserem Zimmer. Ins Bett zu gehen war eine Tortur und ohne Wärmflasche praktisch unmöglich. Selbst mit Bettflasche dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis sich die Bettwäsche und die Matratze soweit aufgewärmt hatten, dass man endlich nicht mehr fror.

Mit zehn, zwölf Jahren wurde mir als ältester Sohn die Verantwortung für das morgendliche Holzholen und Feuermachen übertragen. Das Brennholz befand sich im oberen Teil eines Seitengebäudes unseres Hauses. Zwischen den bis unter die Ziegel aufgestapelten Holzscheiten befanden sich schmale Gänge. Ein ganzes Universum aus Brennholz tat sich da auf. Im Laufe des Winters wurden die Freiräume zwischen den Holzgalaxien dann immer größer, bis meine Eltern entschieden, es geht wieder in den Wald. Das war spätestens jedes zweite Jahr für mehrere Tage der Fall. Holz fällen, sägen, aufladen, abladen, kleinschneiden, Hacken, Universum auffüllen. Der ganze Prozess dauerte meist mehrere Wochen und wir Kinder waren Teil davon.

Wie damals üblich, wurde am Samstag gegen Abend gebadet. Um warmes Badewasser zu haben, musste am Morgen ein kleiner Badeofen mit Heizöl befüllt und angezündet werden. Samstag war der einzige Tag in der Woche an dem das Bad so richtig schön warm war. Der Badeofen hat natürlich nicht nur das Badewasser erhitzt, sondern auch das ganze Badezimmer in eine wohlige Wärmeinsel verwandelt. Kaum war die Badezeit beendet verwandelte sich das Bad aber wieder in die gewohnte Eishölle.

Unser Haus zu heizen war tägliche und äußerst mühsame Arbeit und das für einen eher überschaubaren Erfolg. Wie schon erwähnt, unser Haus war ein dunkles und kaltes Loch. Manchmal glaube ich, dass diese Kindheitserfahrungen mitverantwortlich dafür waren, dass ich später Energieberater wurde. Ich konnte und wollte einfach nicht glauben und akzeptieren, dass man es nur mit solch übermäßigen Aufwand an Arbeit und Brennstoff schafft, ein Haus zu beheizen, um dann doch ständig frieren zu müssen. Das musste doch auch anders, besser gehen.

Ich erinnere mich noch gut an die Energiekrise. Ich bin in den 1970er Jahren aufgewachsen. Öl-Krise und autofreie Sonntage gehören zu den ersten Dingen, die mir aus meiner Kindheit noch im Gedächtnis geblieben sind. All diese Dinge haben bei mir zu der Annahme geführt, dass das Energiesparen in den 1970ern erfunden wurde.

Unsere Familie zog Mitte der 1980er Jahre in einen Neubau, den man in unseren Garten gebaut hatte. Unser Fachwerkhaus wurde noch etwa 10 Jahre vermietet, bis es Ende der 1990er Jahre schon einige Jahre nicht mehr bewohnt und auch definitiv nicht mehr bewohnbar war.

Damals war ich fast dreißig Jahre alt und hatte bereits eine Ausbildung zum Elektrogerätemechaniker und Energiegeräteelektroniker in der Industrie hinter mir. Als Kind war ich im elterlichen landwirtschaftlichen Lohnunternehmen groß geworden. Bis zu meinem 25. Lebensjahr verbrachte ich meine Ferien daher auf Mähdreschern und mähte Felder.

Meine Eltern hatten damals weder die Motivation noch die Kraft, um sich um das Haus zu kümmern. Daher fragten sie uns Kinder, ob wir nicht Interesse hätten das Haus zu übernehmen. Keiner von uns hatte zunächst Interesse für das dunkle kalte Loch angemeldet. Auch ich nicht. Noch zu sehr waren die Bilder und Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend in meinem Kopf. Ich hatte mir geschworen, niemals mehr in dieses Haus zurückzukehren.

Um die Jahrtausendwende suchte ich dann allerdings nach einem Thema für meine Diplomarbeit. Ich studierte inzwischen Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Darmstadt und hatte das Thema Energie bereits für mich entdeckt. Ich entschied damals, dass die Energieeffizienz in Gebäuden ein zentraler Inhalt meines beruflichen Lebens sein wird.

Nach und nach entwickelte sich die Idee, meine Diplomarbeit zu nutzen, um mich in die energetische Sanierung von Fachwerkhäusern einzuarbeiten und meine Erkenntnisse für die Modernisierung unseres alten Hauses zu nutzen. Also begann ich mich auch schon praktisch mit dem Haus zu beschäftigen. Und da passierte dieser Fund.

Eine der ersten Maßnahmen war die Entrümpelung des Hauses. Und da ist es dann passiert. Auf dem Dachboden fand ich eine alte Kommode, die eindeutig noch von den Vorbesitzern stammte. Darin befanden sich alte Rechnungsordner aus den 1940er Jahren. Bevor ich diese entsorgte, blätterte ich Sie alle einmal durch, um zu schauen, ob sich vielleicht noch etwas von Interesse oder historischem Wert darin befand. Und dann fand ich sie. Die Stromrechnungen. Aber nicht einfach irgendwelche Stromrechnungen, sondern Stromrechnungen auf denen sich auf der Rückseite gezeichnete Cartoons mit Stromspartipps befanden.

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment als ich begriff, was ich da gefunden habe. Anders als ich das über Jahre vermutete, wurde das Energiesparen offensichtlich nicht in den 1970er Jahren erfunden. Wahrscheinlich haben die Menschen schon seit jeher Energie in Form von Öl, Kohle oder Holz gespart, weil Energie einfach schon immer auch ein knappes Gut sein konnte. Diese Stromrechnungen waren zumindest ein erstes Indiz dafür. Für mich waren sie aber noch sehr viel mehr.

Zunächst dachte ich noch an einen Zufall. Aber schnell wurde mir klar, dass es kein Zufall sein konnte, dass jemand wie ich, der sich der Energieeffizienz verschrieben hatte solch einen Fund auf seinem Dachboden machte, kann das kein Zufall sein. Wahrscheinlich ist es einfach so, dass es so viel zum Thema Energiesparen zu finden und entdecken gibt, dass es praktisch unmöglich war es nicht irgendwann zu entdecken.

Motiviert durch meinen Dachbodenfund begann ich systematisch zu recherchieren. Und siehe da, es gab tatsächlich noch sehr viel mehr. Bereits nach einigen Monaten umfasste meine Energiesparsammlung mehrere Hundert Objekte, Bücher, Quellen und sonstige Dinge. Einiges davon war und ist historisch interessant. Andere Sammlungsstücke sind aus heutiger Sicht einfach nur extrem unterhaltsam. Wer weiß schon, dass Spiderman 1979 in der Washington Post „energy saving tips“ verbreitet hat, oder das Johann-Wolfgang von Goethe einen Holz sparenden Ofen entwickelt hat oder dass das Bundeswirtschaftsministerium so verrückte Sachen gemacht hat wie eine Musik-Cassette mit Pop-Songs zu veröffentlichten auf der zwischen den Liedern Energiespartipps zum Heizen und Autofahren gesprochen werden. Heute ist meine Sammlung vermutlich die größte Energiesparsammlung der Welt. Denn bis heute habe ich niemanden kennengelernt, der das gleiche Sammelgebiet hätte.

Mein kleines Energiesparmuseum zeigt dabei eine Sache sehr deutlich. Energie wurde immer nur in Krisenzeiten gespart. Innovation und Einfallsreichtum gingen immer mit Zeiten einher in denen Energie schwer zugänglich und teuer war. Aus welchem Grund sonst hätten die Elektrizitätswerke Ende der 1940er Jahren Energiespartipps auf ihre Rechnungen drucken sollen. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war Strom für den Wiederaufbau ein knappes Gut, mit dem man sorgsam umgehen musste. Auch glaube ich nicht, dass ein Bundeswirtschaftsministerium jemals auf die verrückte Idee gekommen wäre ins Pop-Geschäft einzusteigen, wenn nicht die Öl-Krise der 70er es zu neuen Ansätzen gezwungen hätte.

Und so gesehen hatten all diese Energiekrisen der Vergangenheit auch etwas Gutes. Sie haben die Menschen zur Innnovation und zu einem bewussteren Umgang mit der Ressource Energie motiviert. Und heute? Wir befinden uns heute in einer doppelten Krise. Nicht nur die Energie wird knapper und teurer. Das ließe sich vielleicht wie so oft in der Vergangenheit noch hinbiegen. Die Tatsache das unsere Atmosphäre begrenzt ist, stellt uns Menschen vor völlig neue Herausforderungen. Die werden wir aber nur bestehen, wenn wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern wenn wir Ideen und Innovationen wieder hochleben lassen.

Die Wärmewende im Gebäudebereich, ist dabei einer der Schlüssel. Der Grund für seine Schlüsselrolle ist, dass wir es in keinem anderen Bereich mit so vielen Entscheiderinnen und Entscheidern zu tun haben, wie im Gebäudebereich. Allein die vielen Millionen Einfamilienhäuser werden von vielen Millionen Menschen, meist Laien bewohnt, die in Zukunft Entscheidung bezüglich der Energieeffizienz und Umweltwirkung ihre Immobilie treffen müssen. Für eine erfolgreiche Wärmewende müssen wir allerdings all diese Menschen erreichen und sie in die Lage versetzen gute und richtige Entscheidungen für ihre Immobilien zu treffen. Und damit sind wir bei dieser Kolumne.

Ich glaube ich hatte mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Carsten Herbert. Die meisten Menschen kennen mich aber eher als ENERGIESPARKOMMISSAR aus meinem gleichnamigen YouTube Kanal. Ich beschäftige mich nun schon seit rund 25 Jahren mit Energieeffizienz in Gebäuden und das seit fast 20 Jahren als Energieberater mit Ingenieurbüro in Darmstadt. In unserem Büro mit Namen ENERGIE & HAUS machen ich nichts anderes als mich mit der Energieeffizienz von Gebäuden zu beschäftigen. Und das mache ich mit einem Team von momentan acht Kollegen und Kolleginnen die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte besetzen. Wir sind daher sowas wie ein Energieberatungsbüro 4.0.

Und all das Wissen und die Erfahrung vom mir und meinem Team steckt im Projekt ENERGIESPARKOMMISSAR. Seit 2020 teilen wir unser Wissen zunehmend auch in Artikeln, Büchern, Podcasts, Interviews, Social Media Kanälen. Von heute an werde wir unser Wissen in einer monatlichen Kolumne auf diesem Blog mit Euch teilen.

In meiner ersten inhaltlichen Kolumne im Mai wird es um den Vergleich von Energieverbräuchen von Gebäuden gehen und wie ihr den Energieverbrauch Eures Hauses einschätzen könnt. Dazu gibt es gleich mal eine kleine Aufwärmübung.

Versucht mal die beiden folgenden Fragen zu beantworten.

  1. Wenn ich Euch sage, ein Auto braucht 20 Liter Sprit, ist das dann ein eher hoher oder ein eher niedriger Verbrauch?
  2. Wenn ich Euch sage, ein Haus verbraucht 20 Liter Heizöl, ist das dann ein eher hoher oder ein eher niedriger Verbrauch?

Das sind zwei fast identische Fragen. Dennoch vermute ich mal, dass Ihr die erste Frage aus dem Bauch heraus beantworten konntet, aber mit der zweiten tatet Ihr Euch ungleich schwerer. Ich verspreche Euch, nach der Kolumne im Mai kommt die Antwort auf Fragen 2 wie aus der Pistole geschossen. Ich freue mich schon darauf!

Euer Carsten

 

 

 

 

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